Normalität(en) erkunden und Barrieren überwinden


Im Teilprojekt Inklusion des SPL (unter Leitung von Prof. Dr. Kerstin Rabenstein und Dr. Astrid Biele Mefebue) werden seit dem Sommersemester 2017 u.a. Bausteine entwickelt, die in der Lehre der lehramtsbezogenen bildungswissenschaftlichen Module im 2-Fächer-Bachelor und im Master of Education zum Einsatz kommen können. Damit wird der Idee Rechnung getragen, Fragen einer diversitätsgerechten Gestaltung von Schule und Unterricht als Querschnittsaufgabe zu verstehen. Mit Querschnittsaufgabe ist gemeint, dass Themen im Zusammenhang mit inklusiver Schul- und Unterrichtsentwicklung nicht in einem Zusatzbaustein ausgelagert werden, sondern in bestehende Module integriert werden. Erwartet wird davon, dass Fragen von Ungleichheit, Differenz und Diversität nicht als eigene Spezialthemen verstanden werden, sondern nach und nach als Aspekte, die mit den meisten auf Schule und Unterricht bezogenen Themen eng zusammenspielen. Diversität als Querschnittsaufgabe zu verstehen, erfordert eine allmähliche Umstrukturierung und „Re-Organisation“ von bisher gewohnten Systematiken und Darstellungen von Themen.

barrieretürbibliothekZudem haben wir damit begonnen, Bausteine für die Auseinandersetzung mit kulturellen Konstruktionen von Behinderung zu entwickeln: Menschen ‚sind’ nicht behindert, sondern ‚werden’ behindert. Dieser Blickwechsel erfordert die Reflexion eines medizinischen Verständnisses von Behinderung, das davon ausgeht, dass Menschen behindert ‚sind’ (impairment), und die Auseinandersetzung mit einem kulturellen Verständnis von Behinderung, das davon ausgeht, dass Menschen behindert werden (disability). In diesen Bausteinen analysieren Studierende räumliche und institutionelle Studienbedingungen als ‚Normalitätskonstruktionen’: Der theoretische Hintergrund für das Verständnis von Behinderung als kultureller Konstruktion wird in den Bausteinen mehr oder weniger ausführlich vorweg erarbeitet und im Anschluss an die Erkundungen diskutiert. Theoretische Bezugspunkte stellen die Normalismustheorie nach Jürgen Link und die daran anschließenden normalismus- und diskursanalytischen Arbeiten von Anne Waldschmidt dar.

Die Studierenden analysieren in praktischen Erkundungen z. B. Wege und Teilhabe-Teilnahme-Voraussetzungen zu Lehrveranstaltungen und den Umgang mit alltäglichen Bedürfnissen (Essen, Toilettenbesuch etc.) auf Barrieren hin. Um die ‚Normalitäten’ und die damit verbundenen ‚Barrieren’ zu erkunden, wird ein Perspektivwechsel ‚inszeniert’: Hierfür stehen (technische) Hilfsmittel (z.B. Rollstühle, Sehbeeinträchtigungsbrillen, Gehörschutzstöpsel) zur Verfügung. Mithilfe von Erkundungsaufgaben beobachten die Studierenden, wie man sich z.B. in einem Rollstuhl durch das Gebäude im Waldweg bewegen und dabei beispielsweise Türen öffnen muss, was einer hohen Kraftanstrengung bedarf. Die entwickelten Materialien unterstützen die Studierenden dabei verschiedene Dimensionen bei diesen Erkundungen zu berücksichtigen. Gefragt wird z. B. nach auftauchenden Barrieren auf unterschiedlichen Ebenen (Zeit, Raum, Sprache, Schrift, Kommunikation etc.) und den Modi, in denen diese bearbeitet werden können (z.B. Hilfeerfordernisse, mehr Zeit einplanen).

Der Baustein ermöglicht die Thematisierung von Normalitäten, Behinderung(en) und Barrieren in unterschiedlichem Umfang und unterschiedlicher Differenziertheit: So ist ein Einsatz in einer Seminarsitzung, als Blocktermin oder als zentrales oder sogar eigenes Seminarthema denkbar.

Die Bausteine wurden bereits in 25 Lehrveranstaltungen erprobt und anschließend weiterentwickelt. Aktuell wird gemeinsam mit Lehrenden der Bildungswissenschaften ein Skript erstellt, das zum einen einen Transfer in weitere Module ermöglicht und zum anderen Lehrenden der Bildungswissenschaften und Fachdidaktiken ermöglicht, in der eigenen Lehre an dieses Konzept anzuschließen. Das Projekt wird ergänzt durch ein durch Zentrale Studienqualitätsmittel finanziertes Lehrforschungsprojekt im Modul M.BW 100 und in einem Projektseminar im Bachelorstudium, dessen Ergebnisse im Rahmen einer Ausstellung Ende 2018 vorgestellt werden.

 

Beitrag: Marian Laubner und Kerstin Rabenstein